Unsere Geduld wird am Alaska Highway auf eine harte Probe gestellt, nach über drei Stunden stehen wir immer noch da und geben uns noch eine halbe Stunde, bevor wir die Aktion abbrechen wollen.
Fünf Minuten vor Tores Schluss hält ein großer Van und eine Dame der First Nation sagt, wir sollen unsere Klamotten hinten rein schmeißen und ab geht’s mit 120 Sachen Richtung Johnsons Crossing.
Wir erfahren viel auf der Fahrt über die Landverhältnisse und den ewigen Kampf der Ureinwohner, Teile wieder zurück zu bekommen. Jeden Tag fährt sie über hundert Kilometer pro Weg zur Arbeit nach Whitehorse.
Am Fluss angelangt, sind wir doch alle recht überrascht, wie viel Wasser er führt, das sieht definitiv nicht nach normalem Wasserstand aus.
Wir pumpen die Boote auf und lassen flott die Brücke über den Teslin hinter uns zurück. Zunächst geht es noch an zahlreichen Hütten vorbei die mit der Zeit immer weniger werden.
Der Fluss ist breit und wird es auch die meiste Zeit bleiben, bald ist uns klar, das er absolutes Hochwasser führt.
Die erste Nacht verbringen wir an einer nicht besetzten Privathütte, der nächste Tag verspricht ein wenig Sonne und alles läuft relativ entspannt. Bis auf einige wenige Trapper Hütten im Wald, die einiges an gruseligen Folter Werkzeugen zu bieten haben und teilweise unverschlossen sind, paddeln wir hier nur noch durch pure, unberührte Wildnis.
John studiert intensiv die Flussbeschreibung und ahnt, das bei diesem enormen Wasservolumen und dadurch auch höherer Geschwindigkeit des Flusses noch einiges auf uns zu kommen könnte. Er hat sich in Whitehorse einen Trockenanzug gekauft, zwar nicht vornehmlich für den Teslin sondern für künftige Wildwasser Befahrungen, hat ihn aber schlauerweise dabei und trägt ihn auch. Hätte ich einen, würde ich das gleiche tun, da ich den Fluss jedoch von meiner damaligen Befahrung im September als relativ langsam und warm in Erinnerung habe, kam ich überhaupt nicht auf den Gedanken, das dies im Frühjahr anders sein könnte. Ich könnte mir selbst kräftig eine runter hauen und muss mir eingestehen, das dies eine selten dämliche Fehlinterpretation plus Fehlinformation war. In Whitehorse hätte ich einen Trockenanzug leihen können, denn, welch Überraschung, das Wasser hat nur ungefähr zwei Grad was beim Kentern ganz schnell Lebensbedrohlich werden kann, wie konnte mir Wildnis Freak und alles andere als Anfänger nur so was passieren?
Mit gemischten Gefühlen setzen wir unseren Weg fort, der Fluss beginnt sich zu verengen und dank des Buches wissen wir, an welchen Stellen besondere Vorsicht aufgrund von sogenannten Eddies, bei uns auch als Kehrwasser bekannt, geboten ist. Vom Gefühl her rauschen wir nur so dahin, die Geschwindigkeit ist hoch, nicht eine Sekunde können wir uns Unaufmerksamkeiten leisten, in einer Innenkurve, eher ungewöhnlich, passiert es dann, wir sind nah beisammen und rauschen mitten in eine große Eddy, das Wasser kommt uns plötzlich entgegen, wir paddeln wie die Irren um die Boote gerade zu halten und da raus zu kommen und schaffen es. Das Adrenalin pocht mir durch die Schläfen, ich fühle mich einem Schwächeanfall nahe, was ist passiert?
Bei Normalwasserstand sind diese Eddies auf dem Teslin meist kein Problem, durch das enorme Wasservolumen jedoch gewinnen sie an Stärke und können in Sekundenbruchteilen kleinere Boote durch die Wucht des plötzlich in die entgegen gesetzte Richtung fließenden Wassers leicht umhauen. Es gibt hier eine Ober und eine Unterströmung, die Oberströmung fließt in die der Flussrichtung entgegen gesetzte Richtung, man fährt mit voller Wucht hinein und das Boot dreht sich in Sekunden Bruchteilen in diesem Wirbel der riesig sein kann und das war es dann. Das Kehrwasser am Ufer ist dagegen willkommen und harmlos, kann man dort meist gefahrlos anlanden.
Heute haben wir außerdem mit gemischtem Wetter zu kämpfen, immer wieder regnet und windet es recht heftig und wir suchen Schutz am Ufer bis das schlimmste vorbei gezogen ist.
Die Tage sind aufgrund der langen Helligkeit lang, wir sehen das wir weiter kommen. Das Angeln kann man total vergessen, dort, wo die Fische oft am besten zu fangen sind, nämlich wo die kleineren Seitenarme in den Fluss münden, sind gar nicht mehr als solche zu erkennen, da es überflutet ist, die Fische haben sich in unerreichbare Tiefen zurück gezogen.
Der Fluss wird wieder breiter, teilt sich oft in mehrere Arme, schnell müssen Entscheidungen getroffen werden welchen wir nehmen, einmal entscheidet John etwas spät, ich sehe das Ufer zwischen dem geteilten Fluss auf mich zurasen und paddle verzweifelt um den rechten Arm doch noch zu erreichen, irgendwann schaue ich einfach nicht mehr hin und schaffe es tatsächlich im letzten Augenblick.
Wir paddeln durch riesige Schleifen, sehr unangenehm, der Wind erwischt uns hier voll. Manchmal kündigt er sich durch ein Rauschen in den Tannen an, extreme Anspannung vor allem bei mir. Anlanden ist sehr oft nicht möglich, durch die hohe Geschwindigkeit des Flusses und enorme Steilufer. Sehr genau muss John anhand des Flussbuches überlegen, wie und wann wir auf die andere Seite wechseln, was meist die Innenschleife ist, an der Außenseite lauern Eddies und die Geschwindigkeit ist höher, da dort die Hauptströmung fließt, ein fürwahr unentspanntes Flussabenteuer.
Wir sprechen über das, was noch bevor steht und was passieren kann, vor allem für mich kann das Kentern tödliche Folgen haben, in Minutenschnelle bin ich lebensgefährlich unterkühlt, das Boot und John um die nächste Biegung verschwunden und um ans Ufer zu kommen bleibt mir wenig Zeit, geschweige, mich wieder aufzuwärmen wenn ich es denn schaffe. Ändern kann man nichts, wir sind mitten in der Wildnis, einen Ausstieg gibt es nicht, die nächste Straße ist sehr weit weg mit viel undurchdringlichem Gelände dazwischen. Ich habe ein GPS Notsignal Gerät, man betätigt einen Knopf und hofft, das die Empfangsstationen dieses Signal auffangen und zur Hilfe eilen, dies darf erst angewendet werden, wenn man mit einem Bein im Grab steht, ich trage es immer am Körper, es ist wasserdicht.
Nun, soweit ist es ja noch nicht, wir wollen Wildnis Trips, hier können wir beweisen was es heißt, wirkliche Stärke zu zeigen wenn eben nicht alles wie geplant läuft, alles reine Kopfsache. Wir setzen unseren Weg durch die herrliche Yukon Wildnis fort, andere Paddler sehen wir nicht.
Am dritten Tag, wir sind mitten auf dem breiten Fluss, bemerke ich plötzlich das Luft aus dem Boot entweicht, der Boden wird ganz labbrig, ich rufe John an das ich umgehend ans Ufer muss, dies ist weit weg, wir befinden uns grad in der Nähe einer Außenkurve mit Steilufer. Ich paddle schräg zur Strömung in Richtung Innenkurve, schreie, das ich es nicht schaffe, der Rucksack neigt sich gen Wasser, ich verliere massiv Luft und paddle um mein Leben, solch eine Extremsituation habe ich noch nie erlebt, John schreit mich an, ich soll nicht in Panik geraten, das hilft nicht, klar, aber sitz mal auf einem zwei Grad kalten, wilden Fluss nur mit einem sich im Nichts auflösenden Stück Gummi unterm Hintern. Ich stehe nicht kurz vor einer Panik, ich befinde mich mitten drin.
Dies verleiht mir wohl Flügel, ich erreiche das Ufer kurz vor knapp und bin fix und fertig. John inspiziert das Ventil und verkündet, das ich dies beim letzten nach blasen bei der Mittagspause nicht richtig geschlossen hätte, logisch, wie kann es auch anders sein, ein Alpacka ist schließlich unverwüstlich und schlägt nicht ohne weiteres Leck.
Der Ritt geht weiter, plötzlich schreit John „Big Eddy“, ich versuche noch nach links auszuweichen aber zu spät. Mit voller Wucht kommt mir das Wasser entgegen, das Ding ist riesig, mittlerweile habe ich gelernt, das Boot auch mit dem Unterkörper zu steuern, das Paddel rotiert, ich habe das Gefühl am Abgrund zu stehen, verliere ich hier die Beherrschung über das Boot, wird es eng. Dann bin ich plötzlich raus, diese grauenhafte Eddie wird mich bis ans Ende des Trips bzw. meiner Tage verfolgen, ich zittre, versuche mich zusammen zu reißen, Zeit für Selbstmitleid bleibt nicht.
Der Abend ist feucht und wir entfachen ein Feuer, John studiert die halbe Nacht die Karte und kennt sie bald auswendig, der heftigste Teil mit vielen Eddies steht noch bevor, ich kann mir darüber nicht mehr den Kopf zerbrechen, mental und körperlich völlig ausgepumpt, falle ich in einen tiefen Schlaf.
Am Morgen gehen wir schweigsam unserer Routine nach, viel zu bereden gibt es nicht, ich bekomme nur einen Teil meiner Haferflocken runter gewürgt, wir hoffen einfach, das alles gut geht.
Zunächst läuft auch alles sehr gut, keine besonderen Vorkommnisse, dann schreit John, er höre ein Zischen im Boot wo wohl Luft entweicht, das Boot sieht aber Minuten später immer noch genauso aus. Am Ufer untersucht er es und kann nichts feststellen, wird er nun paranoid? Viele Stunden später höre ich es auch bei mir, das ist aber kein Loch sondern hat offensichtlich mit der Kälte des Wassers zu tun das solche Boden Geräusche erzeugt.
Noch eine kurze Pinkelpause und Beine vertreten und auf geht es in unruhiges Wasser, dies ist für uns kein Problem, wir halten uns so weit wie möglich von den eingezeichneten Eddies fern, die wir auch von weitem sehen können, geschafft, damit liegt hoffentlich der wildeste Teil hinter uns, das heutige Mittagessen fällt um einiges entspannter aus.
Die großen windigen Schleifen bleiben uns erhalten, ich hasse sie. Heute würden wir es noch gerne bis zum Yukon schaffen in den der Teslin bei Hootalinqua mündet aber der Wind frischt immer mehr auf, ich halte mich nah am Ufer was nicht ungefährlich ist, da man unter einen der toten Bäume geraten kann und durch die Strömung darunter gezogen wird, John schreit mich an, ich solle mich davon fern halten aber es fällt mir schwer, zu sicher erscheint mir das Ufer gegenüber dem Wind, der mich jederzeit umhauen kann. Irgendwann müssen wir eine Sandbank ansteuern, kein tolles Nachtquartier, zum Glück lässt der Wind irgendwann nach aber John muss seine besten Überredungskünste aufbieten, damit ich nochmal ins Boot steige, die Windstille ist mir nicht geheuer.
Wir erreichen Hootalinqua, eine ehemalige Schaufelraddampfer Werft auf einer Insel gelegen, auf der die Evelyn zurück gelassen wurde und vor sich hin rottet, viel faszinierende Historie ist an den Flüssen zu finden. Wir campen im Schatten des alten Dampfers, ein tolles Camp, ein klasse Abend, der Teslin liegt hinter uns.
Weitere 160 Kilometer auf dem Yukon liegen vor uns, hier sehen wir andere Kanuten, der breite Fluss hat eine riesen Schleife nach der anderen zu bieten, der Big Salmon River kommt von rechts, diesen befuhr ich vor siebzehn Jahren für drei Wochen mit einem Freund in einem Kanu, unvergesslich.
Wir machen 75 Kilometer an diesem Tag, und das mit den langsamen Packrafts, wie immer ist Aufmerksamkeit gefragt aber außer den riesigen Kurven gibt es keine Probleme. Bei Ericksons Woodyard, einem ehemaligen Holzcamp für die Versorgung der Schaufelraddampfer, finden wir ein schönes Übernachtungsplätzchen und eine riesige Kolonie Arctic Ground Squirlls.
Fast hätten wir am kommenden Tag den ersten möglichen Ausstieg am Little Big Salmon Village übersehen. Wir haben genug vom Gegenwind, lieber latsche ich tagelang auf der Straße als einen weiteren Tag auf dem Fluss bis Carmacks zu verbringen.
Noch nie war ich so froh, das Boot zusammen packen zu können, die Knie und Oberschenkel ächzen unter dem Gewicht des Rucksacks, unsere Vorgabe für heute wäre zumindest nach Carmacks am Klondike Highway zu kommen. Drei Stunden laufen wir auf dem Robert Campbell Highway, die wenigen Autos ignorieren unseren ausgestreckten Daumen, dann hält eines.
Die Dame der First Nation mit ihrer achtzig Jährigen Mutter auf dem Beifahrersitz muss heute sogar noch nach Whitehorse und wir dürfen mitfahren. In der ganzen Gegend sind wilde Camps aufgeschlagen, Menschen kommen hierher, um in einem großen abgebrannten Waldstück, auch auf der anderen Flussseite, Pilze, Morcheln, zu sammeln, diese gedeihen hier die nächsten drei Jahre nach dem Brand, Pilzaufkäufer stehen bereit und bezahlen gut, es gibt Leute, die machen in ein paar Wochen tausende Dollars, wir staunen nicht schlecht, hier hat sich eine ganze Comunity den Sommer über niedergelassen. Auch unsere Fahrerin baut ihr Camp auf bevor es nach Whitehorse geht. Nach einer weiteren Lehrstunde in Sachen First Nation und Kampf um ihr angestammtes Land aus einer ganz anderen Sicht, erreichen wir die Hauptstadt, das Abenteuer Teslin, insgesamt 350 Flusskilometer, ist glücklich überstanden. Keiner von uns, selbst John als ehemaliger Eiskletterer hat jemals einen so fordernden, grenzwertigen Trip erlebt, in einer Woche haben wir ein Jahr Packraft Erfahrung gesammelt.Nie war die Bank am Yukon bequemer und das Bier köstlicher als an diesem Abend.
Ein paar Tage später erreichen wir Dawson City, hier am Klondike bzw. Bonanza Creek wurde am 16. August 1896 Gold gefunden und damit der große Goldrausch ausgelöst welcher Hundert Tausend Männer und einige Frauen in den Folgejahren dazu veranlasste, die gefährliche Reise in den Yukon zu unternehmen. Dawson ist immer noch nett, wir finden einen schönen Stellplatz mit tollem Blick auf das Städtchen und die Berge oben auf dem Midnight Dome und bleiben ein paar Tage. Wir treffen Holländer mit schönem Toyota die sehr flott die PanAm Süd-Nord gefahren sind.
Ein Stückchen retour und wir sind auf dem Dempster Highway, 735 Kilometer Piste bis nach Inuvik. Unser eigentliches Ziel sind die Tombstone Mountains, wo wir einige Tage wandern wollen. Doch die Nordseiten der Pässe sind noch nicht Eis und Schneefrei, wir glauben es nicht, doch wir müssen uns wieder nur mit Tageswanderungen begnügen, die Info der Ranger im Kluane stimmte also nicht. Wir laufen zum wunderschönen Great Bear Lake, neun Stunden hin und zurück und finden auf dem Weg dorthin eine extrem aufgeschlossene Murmeltier Großfamilie die überhaupt kein Problem hat, das wir nah ran kommen um sie zu fotografieren. Mir gelingen wunderbare Bilder wie ich sie in den Alpen nie schießen konnte.
Am nächsten Tag schmeißt John mal wieder das Packraft in den Fluss, ich gabel ihn eine Stunde später Flussabwärts wieder auf. Wir fahren zum Arctic Circle, ein Stück weiter finden wir ein schönes Camp, beschließen aber, das wir keine Lust haben weitere 350 Kilometer nach Inuvik zu fahren.
Hans und Karola sind irgendwo in der Nähe. Wir campen am nächsten Abend so, das sie zumindest die Schnauze des Wagens von der Piste sehen können und siehe da, plötzlich höre ich, das ein größeres Fahrzeug eine Vollbremsung hinlegt, Hans seinen Augen entgeht nichts. Nach fast einem Jahr, das letzte Mal in Labrador, und sehr verschiedenen Routen, sehen wir uns hier auf der anderen Seite des Kontinents endlich mal wieder.
Mit der Fähre geht es in Dawson über den Yukon und auf den Top of the World Highway, Alaska ruft.
John packt den Rucksack, wir überqueren die Grenzen grundsätzlich getrennt. Ich möchte erneut ein halbes Jahr für die Staaten und rolle gut vorbereitet und gefasst auf alles, auf den mitten im Nichts gelegenen, nur im Sommer geöffneten Grenzposten zu.