Die Herrin über die Tickets für die Fähre nach Labrador macht mir wenig Hoffnung. Morgen sind beide Fähren ausgebucht und heute sowieso aber 25 Prozent bleibt frei für Spontan Bucher. Morgen früh um sechs hier auf der Matte stehen, dann klappts vielleicht.

Pünktlich stehe ich und zwanzig andere am Schalter, erhalte ein Ticket und komme als Vorletzte auf den Kahn.

Kahn ist noch freundlich ausgedrückt, entpuppt sich die Apollo als Seelenverkäufer aller erster Güte, die jedem Klischee eines afrikanischen Bananen Republik Dampfers gerecht würde. Das so was überhaupt noch fährt, wundert mich schon.

Die neunzig Minuten erweisen sich als kurzweilig, springen doch immer wieder kleinere Wale und Delfine vorm Schiff herum. Der St. Lawrence Strom scheint voll von ihnen zu sein, wie ich drüben auf dem Weg zum nächsten Leuchtturm sehe, denn ich kann vom Ufer aus eine große Delfin Gruppe beobachten, einfach toll.

Beim Leuchtturm am Point Amour handelt es sich nicht um irgend einen, sondern mit dreiunddreißig Metern um dem höchsten aller Atlantik Provinzen.

Drinnen wird ein wenig Geschichte geboten und hinauf klettern darf man auch.

Weiter geht es durch kleine Örtchen an der Küste nach Red Bay, dem ehemaligen Zentrum der Walfänger des sechzehnten Jahrhunderts.

Die Basken waren hier sehr präsent und in Spitzenzeiten kamen jährlich zweitausendfünfhundert Walfänger in fünfzig Schiffen hier her. Tran für die Lampen war eines der kostbaren Güter, die ein Wal lieferte. Zumindest muss man sagen, dass die Wale noch eine reelle Chance hatten, betrachtet man das Boot im Museum, welches damals üblicherweise benutzt wurde.

Karola und Hans wunderten sich schon, wo ich ab geblieben bin, wollten wir doch die selbe Fähre nehmen. Sie sind auf die Mittagsfähre drauf gekommen und laufen am nächsten Tag in Red Bay ein.

Wir teilen uns den großen Parkplatz an der Treppe, die auf den tollen Aussichtspunkt über der Bay führt. Am Abend zuvor ging es hier richtig lustig zu. Tragen selbst die Einheimischen ein Netz in Form einer Jacke wenn sie draußen sind, dann ist was faul, aber richtig. Die Newfies hatten mich zwar schon vorbereitet, trotzdem....

Als ich mit geschlossenen Fenstern und Türen abends im Auto hocke, kommt ein Paar angefahren, steigt locker aus und beschaut sich den etwas tiefer gelegenen Platz neben meinem Auto. „Hier können wir doch zelten“ meint sie. Och nö, denke ich. Er öffnet den Kofferraum und das halbe Camping Gerümpel kommt raus geflogen und fängt auf einmal wie wild an, um sich zu schlagen. „Kannst du bitte mal das Spray holen!?“ „Ich finde es nicht“, tönt es verzweifelt aus dem Auto. „Verdammt, das Spray, schnell“, „keine Chance, ich kann es nicht finden“, „Oh shit“ verbunden mit einem Hechtsprung ins Auto. Eine Staubwolke ist das letzte, was ich von ihnen sehe.

Am nächsten Morgen latsche ich zum zweiten Mal die sechshundert siebzig Stufen hinauf und treffe auf dem Rückweg ein rüstiges Rentnerpaar aus Lüdenscheid. Er kokettiert ein wenig mit seinem Alter und ich nehme es ihm nicht übel, ist er doch schlappe vierundachtzig Jahre alt. Die alten Canada Hasen haben mal wieder einen großen Pick up mit Kabine für dreinhalb Monate gemietet und automatisch fragt man sich, ob überhaupt und wie im Allgemeinen man sich selbst wohl so befinden mag? Während viele seiner Altersgenossen in Deutschland zwischen Pflegenotstand und“ Wetten Dass?“ dahin vegetieren und morgens, wenn überhaupt noch, den Rollator klar machen, unterhalten wir uns da oben über alles mögliche inklusive dem Besorgnis erregenden Zuwachs der Weltbevölkerung, bevor er mal eben die restlichen dreihundert Stufen hoch hüpft.

Am kommenden Abend stehe ich zum dritten Mal auf dem höchsten Punkt und Karola und Hans leisten mir Gesellschaft. Sie haben sich die Blackflie sichere Vollsausstattung gegönnt, ein Kettenhemd mit integrierter Kapuze, da lacht hier niemand, im Gegenteil, zumindest, solange keine Hitzewelle ausbricht.

Unten gibt es noch jede Menge Walknochen am Ufer zu bestaunen, die inzwischen fast genauso wie die Felsen aussehen.

 

Ab Red Bay geht es auf Schotterpiste weiter, die, je weiter man vordringt umso besser wird. Ich reduziere den Reifendruck und im gemächlichen Tempo geht es durch ein unvorstellbar großes Nichts. Natur pur und nur eine Piste hindurch, dass ist der Stoff, aus dem meine Träume sind.

Ein paar Örtchen an der Küste gibt es noch, so zum Beispiel St. Lewis, der nächste Anlaufpunkt dreißig Kilometer von der Hauptpiste entfernt. Hier stehen wir oben an der Antennenanlage, leider zieht Nebel auf aber es ist dank Wind, einer von zwei Plätzen, an dem ich die Türen aufreißen kann. Schilder warnen vor Schwarzbären, die sich offenbar auf der nahe gelegen Müllkippe rum treiben.

Nächste Versorgungsstation und Anlaufpunkt ist Happy Valley Goose Bay, hier gibt es eine Air Base mit der längsten Landebahn Nordamerikas, auch die Bundeswehr trainiert hier.

Im dreißig Kilometer entfernten North West River gibt es ein Museum im ehemaligen Hudson Bay Company Store das sich unter anderem genau damit befasst. Ich finde einen tollen Platz in der Nähe der Kiesgrube mit wunderbarem Blick auf die Mealy Mountains, dank Wind, ist heute wieder Feiertag.

Auf dem Rückweg entdecke ich den ersten Schwarzbären, der sich genüsslich mit Gras oder Beeren am Wegesrand voll stopft.

Nach dieser Sichtung ist es genau wie in Australien mit den Schlangen, solange man sie nicht gesehen hat, macht man sich wenige Gedanken. Vorbei, Aufmerksamkeit ist beim Gang durch den Busch zu den Hamilton Falls angesagt.

Nach zwei Tagen verlasse ich das glückliche Tal an der Gänse Bucht und fahre nach Churchill Falls, welches eben so einsam, jedoch nur aus einer Tankstelle inklusive Alkoholladen und den Mitarbeitern eines der größten Wasserkraftwerke der Erde besteht, das von der Kraft der fünfundsiebzig Meter hohen Churchill Falls gespeist wird.

Die zweihundert fünfzig Kilometer nach Labrador City sind komplett geteert. Hier geht es sehr geschäftig und laut zu, dank des größten Eisenerztagebaus der Welt. Mehrere Minen befinden sich in unmittelbarer Umgebung.

Kurze Zeit später überschreitet man schon die Grenze nach Quebec, wo sich weitere riesige Abraumhalden auftürmen. Die restlichen sechshundert fünfzig Kilometer bis zum St. Lawrence sind ein Mix aus Schotter und Teer, wobei der Versorgungsverkehr für die Minen natürlich ununterbrochen läuft und dadurch das Wildnisfeeling etwas verloren geht.

Nach knapp zwei Wochen und tausend achthundert Kilometern erreiche ich wieder die „Zivilisation“ und möchte keinen Tag dieser Fahrt durch das weite, große, leere Land missen.