Von Lake Louise ist es ein Katzensprung zum Yahoo National Park. Hier gibt es einen Trail, den ich unbedingt laufen möchte, leider spielt das Wetter nicht mehr mit. Es regnet, und damit ist in höheren Lagen Schnee angesagt, ich muss mich mit ein paar Kurzwanderungen begnügen und unverrichteter Dinge das Feld räumen.

Der 1962 eröffnete Trans Canada Highway verläuft über den 1627 Meter hohen Kicking Horse Pass, wo sich auch die Grenze zu British Columbia befindet, und folgt der alten Bahntrasse der ersten Transkontinentalen Eisenbahnstrecke, die 1885 eröffnet wurde.

Da es durch das starke Gefälle im Laufe der Jahre so viele Unfälle gab, legte man alles tiefer, baute nach Schweizer Vorbild Spiraltunnel und reduzierte so das Gefälle von 4,5 auf 2,2 Prozent. In der Nähe am Kicking Horse River, wurde einer der ersten Auskundschaftler von seinem Pferd getreten. Ab jetzt ist Pacific Zeit angesagt, der Westen ist definitiv erreicht. In Golden suche ich das Visitor Centre auf, um mich auf den aktuellen Stand zu bringen, vor allem, was preiswerte und freie Stellmöglichkeiten angeht. An sich ist das hier ein sehr schönes lang gezogenes Tal, da hätten wir vor zwei Jahrzehnten um ein Haar ein Blockhaus gekauft. In Anbetracht des heutzutage permanent dröhnenden Auto und Zugverkehrs welcher hier durch rauscht, bin ich sehr froh, dass es nicht geklappt hat. Die Statistik im Visitor Centre spricht für sich, in den nächsten fünfundzwanzig Jahren rechnet man mit einer Zunahme des Autoverkehrs um fünfzig Prozent. Etwas, dass ich in der Form nicht mehr erleben möchte, ist dies doch eines der wenigen Dinge, welches mir über die vergangene Zeit hier so negativ im Gegensatz zu früheren Zeiten aufgefallen ist, der enorm angestiegene Autoverkehr. Die PS starken PKW, Pick ups und Trucks haben auch die Geschwindigkeit steigen und die Moral sinken lassen. Die Zeit bleibt hier ebenso wenig stehen.

Auch im bald folgenden Glacier National Park hätte ich so einiges vor. Der Wetterbericht sieht nicht gut aus aber am Morgen macht es hier keinen schlechten Eindruck. Also, schnell los und immer Aufwärts gehechelt. Irgendwann fängt es an zu regnen, dann schneit es, keine Spuren mehr, eiskalt, Sicht gleich null. Nach fast achthundert Metern Anstieg muss ich umkehren. Schicksal eines Wandervogels. Klatschnass erreiche ich Stunden später den Wagen, hier ist Schluss für diese Saison, ich hoffe auf eine neue Chance im nächsten Jahr.

Auf meinen beiden vorherigen langen Canada Reisen, 1991 und 1997, habe ich mich überwiegend im Yukon, British Columbia und Alaska (USA) aufgehalten. B.C. war in meinen Augen schon immer sehr kontrovers aufgrund seiner gnadenlosen Forstindustrie, die hier alles platt macht, was ihr die Regierung zugesteht und das ist sehr viel. Um zum Kanu fahren in eine geschützte Gegend zu gelangen, flog ich mit dem Wasserflugzeug ein. Das Gebiet dazwischen war komplett zerstörte Erde, soweit das Auge reicht. Das Ausmaß kann man erst von oben beurteilen. „Fliegen Sie mal von Calgary nach Vancouver“ meint ein ausgewanderter Deutscher zu mir. Besser nicht!

Die Forstindustrie betreibt eine ganze Reihe von einfach gehaltenen aber meist schön gelegenen Campplätzen. Aus meiner Erinnerung sind diese ab Oktober kostenlos.

Ab Revelstoke gibt es keinen Sprit mehr ohne Vorrauszahlung an der Kasse und teuer ist es auch noch, 1,40 Dollar. Ich fahre die 23 ein Stück nördlich bis zum ersten Campsite. Hier ist kein Mensch, normalerweise kostet es zwölf Dollar, jetzt ist es frei und wunderbar am See gelegen, da bleibt man auch gern einen Tag länger, Forstindustrie sei Dank.

Ich schlage unbekannte Wege ein und begebe mich ab Revelstoke südlich zur Shelter Bay, wo ich um zwei Uhr die letzte kostenlose Fähre für diesen Tag über den Columbia River erwische. Ein Besatzungsmitglied spricht mich auf Deutsch an, er kommt ursprünglich aus Weener, quasi bei mir um die Ecke und ist 1991 ausgewandert. Meine erste Frage ist immer: und? bereut? Ich habe noch niemanden mit „Ja“ antworten hören. Wie wir so quatschen, funkt der Captain von der Brücke, was es denn da so Wichtiges zu bereden gäbe und ich muss gleich nach oben kommen. Das nächste Besatzungsmitglied macht mir eine Zeichnung, damit ich die heiße Quelle die garantiert sonst kein Tourist findet, ansteuern kann und lädt mich in fünf Tagen zum Thanks Giving Fest ein. Leider kann ich das nicht wahrnehmen, da ich aufgrund des schlechten Wetters einfach schon zu weit weg bin.

Ich fahre eine Forst Piste, schön einsam, so das ich endlich mal wieder mein Schleichtempo aufnehmen kann. Zwei Schwarzbären lassen sich an der Strecke blicken und da Laichsaison der Lachse ist und ich mich am richtigen Fluss befinde, sehe ich so viele Weißkopfseeadler auf einen Haufen versammelt wie noch niemals zuvor. Fotos sind trotzdem schwierig, egal, hier ist richtig was los. Auf dem weiteren Weg finde ich auch die Provincial Campsites, die normalerweise 21,- Dollar kosten und teils wunderbar gelegen sind, kostenfrei vor.

Im hübschen Kaslo kann man den ältesten Schaufelraddampfer Kanadas betrachten und ein Stück weiter das alte Gerümpel eines alten Silberminen Ortes, kalt in einem engen, dunklen Tal gelegen, eine Mine ist noch in Betrieb.

In Richtung Westen wird es belebter und damit sind die goldenen Übernachtungszeiten auf Campingplätzen vorbei. Hier hat man sie entweder gleich ganz dicht gemacht oder es wird wieder kassiert.

Ich rolle weiter durch nette, verschlafene kleine Orte. Der Campingplatz Kettle Creek hat überraschenderweise noch offen, kostet aber die üblichen 21 Dollar, obwohl das nicht klar ersichtlich ist. Nachfrage bei anderen Campern bringt Klarheit. Da fahre ich lieber noch ein Stück ins Christian Valley, das voller kleiner Farmen ist und übernachte wunderbar in einer nicht einsehbaren Senke. Hier ist es auch schon frisch, Null Grad. Ich kurve über den 1200 Meter Pass ins berühmte Wein und Obstanbau Gebiet rund um Osoyoss. Hier ist es staubtrocken und ganz schön touristisch geworden aber um die Jahreszeit natürlich entspannt. Der Cathedral Peak Provincial Park befindet sich in einem engen Tal, hat diverse freie Campsites unmittelbar vor dem Eingang zur Auswahl und ist ruhig und abgeschieden.

Ich fahre auf dem Crowsnest Highway durch den Mannings Provincial Park, hier ist alles mit Schranken verschlossen. Im schönen Silver Lake Provincial Park fällt das Laub gnadenlos.

Vancouver ist nicht mehr weit. Ich steuer direkt die von Schweizer Buschtaxi Reisenden empfohlene Werkstatt an ( Danke Michel). Ich habe zwar mein bzw. Wallys ernsthaftes Problem bereits in Taber lösen können, doch wie es so ist, irgendwo zwickt es immer.

Hier kümmert man sich um Einspritzpumpen und Einspritzdüsen und eine erste sehr professionelle Diagnose zeigt, dass ich wohl nicht ganz richtig bin und sie außerdem auch keine Zeit haben.

Ich werde weiter gereicht an DIE Toyota Spezies in Vancouver.

Mein erster Eindruck bestätigt diese Einschätzung. Man kümmert sich sofort um meine Probleme und Wünsche, dieser kleine Familienbetrieb ist alles, was sich der Toyota Reisende wünscht. Nett, professionell und vor allem kompetent, dazu äußerst Gastfreundlich. Ich darf die Nächte in der Ümzäunung des Grundstücks verbringen und tagsüber kann ich mit dem einen Katzensprung entfernten Skytrain in die Stadt fahren und diese unsicher machen.

Die Stadt hat sich in den letzten Jahrzehnten extrem verändert. Die Bettlerschar hat zugenommen und ist aufdringlich geworden, die glänzenden Hochhausfassaden haben sich ebenso verfielfacht, inklusive der Luxus Eigentumswohnungen darin und Chinatown ist ein Abklatsch dessen, welches ich noch kenne und am sterben. Trotzdem bleibt diese Stadt von der Lage her eine der schönsten. Keine hat die Berge und Skigebiete so nah vor der Haustür, bietet dabei selbst mitten im Zentrum so viele tolle Fahrrad und Sportmöglichkeiten, ganz zu schweigen von der fantastischen Lage am Pazifik.

Nach einer Woche verabschiede ich mich Richtung Vancouver Island und setze an einem nebeligen Tag in eineinhalb Stunden mit der Autofähre von Horseshoe Bay nach Nanaimo über.

1991 fuhr ich die ganze Insel ab und schwor mir, diese aufgrund der gnadenlosen Abholzungs Politik, die die Landschaft wie eine große Wunde erscheinen lässt und nichts mit dem B.C. Spruch „Super Natural“ zu tun hat, nie wieder zu betreten.

Da es für mich von hier jedoch den kürzesten und bequemsten Weg in die USA darstellt, gebe ich ihr nochmal zehn Tage lang eine Chance und besuche ausführlich den südwestlichen Teil.

Die ursprüngliche Planung, den berühmt, berüchtigten Westcoast Trail zu laufen, scheitert an zwei Punkten, erstens wird er unverständlicherweise schon Ende September geschlossen und zweitens, wäre er noch geöffnet, würden mich allein die Gebühren um 140,- Dollar erleichtern und ich käme mit Anfahrt locker auf über 200,- Dollar, den richtigen Zeitpunkt hier, habe ich um viele Jahre verpasst.

Ich fahre nach Port Alberni, hier hat es wunderbar milde fünfzehn Grad und Sonne. Am nächsten Tag möchte ich die Piste nach Bamfield unter die Räder nehmen, doch weit komme ich nicht. Jede Menge Holztrucks kommen mir entgegen oder hängen mir im Nacken und hüllen mich in Dreckwolken, das muss ich mir nicht antun, ich kehre um.

Eine kurvige Strecke bringt mich ins kleine Ucluelet und damit an den Rand des Pacific Rim National Park. Das Wetter ist sensationell schön und die reinste Sommerfrische. Ich genieße die Zeit am schönsten aller Ozeane und spaziere die wilden, schönen Strände des Pazifik entlang.

In Richtung Tofino gibt es einige kürzere Trails, wo man noch den ursprünglichen Regenwald betrachten kann der einst weite Teile der Insel bedeckte.

Greenpeace Mitgliedern mag der harte Kampf um die Erhaltung des Clayoquot Sound noch in Erinnerung sein, hierbei handelt es sich um eines der letzten größeren Gebiete der Insel mit Ursprungsregenwald, 75 bis 80 Prozent sind der Abholzung auf Vancouver Island schon zum Opfer gefallen. Fünfundvierzig gefährdete Tierarten leben in diesem Wald und vorüber wird der Kampf niemals sein. Aktuell geht es um die Verhinderung einer Mine und einer Lachszuchtanlage.

Auch der Great Bear Rainforest, der als einer der letzten und größten noch intakten Küstenregenwälder der Erde gilt, und sich von Vancouver bis Alaska erstreckt , wurde dank des Widerstandes der Umweltschützer zusammen mit den First Nations (Indianer) zumindest teilweise unter dauerhaften Schutz gestellt. Aktuell geht es darum, dass Supertanker das Gebiet durchqueren sollen und damit nicht genug, soll auch noch eine Ölpipeline hindurch gebaut werden.

Ich genieße die herrlichen Hemlock Tannen und riesen Zedern bis zum hübsch gelegenen Örtchen Tofino. Hier ist Umkehrpunkt, da es eine Sackgasse ist und ich begebe mich zum Lake Cowichan und von dort nach Port Renfrew. Die Forest Campsites haben sie einfach dicht gemacht, ich finde auch so einen guten Platz und erfreue mich weiterhin des tollen, milden Wetters, oftmals schüttet es hier um diese Zeit ohne Unterlass.

Der Juan de Funca Trail ist nicht so bekannt wie der West Coast Trail, verläuft auch durch Regenwald und kostet einen Bruchteil. Doch mir ist nicht danach, tagelang durch dunklen, feuchten Wald zu latschen. Hier zwischen Port Renfrew und Jordan River ist es zwar auch schön, doch hat es bei weitem nicht die tollen, langen Strände, sondern überwiegend Kies und ist zum laufen eher ungeeignet.

In der Hauptstadt Victoria versuche ich an ein Ticket für die Überfahrt nach Port Angeles, USA zu kommen. Verkaufen will man mir keines für den anvisierten Zeitpunkt in vier Tagen. Es gilt, früh anstehen und hoffen das man mitkommt, ansonsten hätte ich frühzeitiger reservieren müssen.

Im sechzehn Kilometer entfernten Goldstream Provincial Park ist Laichsaison der Lachse, verschiedene Arten kämpfen sich den kleinen Fluss hoch, was man wunderbar beobachten kann.

Um sechzehn Uhr muss ich mich im Hafengelände mitten in der Stadt einfinden und den Wagen in der Reihe parken, um eventuell am nächsten Morgen auf die zehn Uhr Fähre zu kommen. Ich bin die Nummer fünf und damit auf der sicheren Seite.

In Prime Location direkt in der Stadt pennen und abends noch die durchgeknallten Teenies auf Halloween Tour beobachten, der letzte Abend in Victoria ist interessant.

 

Hundertfünfzig Tage Canada vom Feinsten liegen hinter mir. Zwischen Meile 0 in St.John`s, Neufundland und Meile 0 in Victoria, Britisch Columbia, habe ich doch einige Kilometer auf dem Trans Canada Highway zurückgelegt, der sich auf über achttausend Kilometern quer durchs Land zieht.

Temperaturen von plus vierzig bis minus sieben haben für Abwechslung und Abhärtung gesorgt.

Von den ruhigen Buchten des Atlantik über die Tundra Labradors, den herrlichen Wäldern Quebecs, den unzähligen Seen Ontarios über die platte Prärie zu den grandiosen Rockies, bis schließlich an den wilden Pazifik, durfte ich die ganze Bandbreite dieses riesigen Landes erleben.

Ich freue mich auf ein Wiedersehen im Frühjahr 2014!